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Space Invaders, braun gekachelt

Ach meine lieben Mitspazierer:innen, jetzt wo ich mich der Nostalgie hingebe, scheint es kein Halten mehr zu geben. Eigentlich habe ich gerade einen Text angefangen, „Kreuzberg ist gleich hinterm Ostbahnhof“. Keine Angst, der kommt auch. Irgendwann. Wenn ich ihn radikal um einige ausufernde Seitenstraßen und Sackgassen der Erinnerung gekürzt habe, versprochen. Ich foltere nur, wenn es unvermeidbar ist.

Ist das Tor in die Vergangenheit mal offen, tauchen dann eben einige Erinnerungen aus der selbigen auf, die gerne schnell notiert werden wollen, bevor sie sich wieder verziehen. Manchmal uninteressantes Zeugs, manchmal essenzielle Fragen. Wie zum Beispiel „wo warst Du bei 9/11/?“ (Im Büro, vor einem briefmarkengroßen CNN-Livestream). Oder „Wo warst Du als Franz-Joseph Strauß…?“ (Auf der Wiesn). So viel zum Zeugs.

Essenzielle Fragen wie „Wo hast Du zum ersten Mal ein Videospiel gespielt“ werden mir leider viel zu selten gestellt, außer von Nerds. Und da ich ja kein Nerd bin, kenne ich auch keine.
Nicht, dass ich es nicht versucht hätte, aber selbst der Einbau einer Wasserkühlung in den PC und eine RGB-Gaming-Tastatur locken keine an.  Vielleicht sollte ich mal eine Dungeons & Dragons-Gruppe auf Meetup einstellen. Aber dann könnte mich wer für ne Nerdin halten.

Entschuldigung, ich weiche ab. Wobei, irgendwie auch nicht, schließlich hängt spätestens seit der Quantentheorie alles mit allem zusammen. Und das Neuperlach der Siebziger hatte mit einem Rollenspiel sehr viel Ähnlichkeit, insbesondere Oger, Trolle und ausgesprochen gefährliche Pfade durch unbekanntes, wildes Land. Wer das nicht glaubt, hat niemals versucht, lebend von der Albert-Schweizer-Straße zur Eisdiele und zurückzukommen. Denn dazwischen lag die Plettstraße mit ihrem endlosen Silo voller zu allem entschlossenen wilder Kreaturen, die für uns auf dem Weg zu unserem Traumziel „einmal Erdbeere, einmal Zitrone in der Waffel“ eine echte Herausforderung darstellten. Insbesondere die Jung-Oger, manche schon fast im zweistelligen Alter, die mit den Keilhosen. Das waren diese völlig zurecht längst in den Kleidersammlungen verschwundenen, hoffentlich vom Reißwolf unsanft geschredderten Jogginghosen-Urgroßväter mit dem Riemen unterm Fuß, der wohl dazu diente, sie in einer gymnastik-gerechten Spannung zu halten. Gerne gesehen am Reck, wenn gesehen an jungen Recken, ein ultimativer Grund, zu rennen, was auch immer die Flip-Flops an den Füßchen hergaben. Denn im Verbund mit ihren garstigen Schwestern wollten sie nur eines: unser Fuffzgerl fürs Eis. Ohne Gegenleistung abgesehen von Kratzen, Beißen, Prügeln versteht sich.

Von daher also war ein Ausflug zur Eisdiele – genauer zu DER Eisdiele, da die einzige ihrer Art – mit der Logistik eines Rollenspiels durchaus vergleichbar. Denn man brauchte:
– viele Kinder, je mehr desto besser
– ein paar von den großen, die als Tanks und Schutz fungierten, aber überredet werden mussten
– freche Gören, die sich nicht einschüchtern ließen und zur Not auch mal ein Büschel Haare als Souvenir schätzten
– idealerweise einen Lord mit vollem Geldbeutel

Da solche Expeditionszüge in feindliches Terrain aufwändig waren, waren sie selten – und noch dazu stark witterungsabhängig. Sozusagen der große Spielenachmittag zu besonderen Anlässen.

Wesentlich einfacher war da schon der Ausflug in den nächstgelegen Konsumtempel zu realisieren. Denn auch wenn es für uns noch kaum zu glauben war: nach den Anfangsjahren Neuperlachs, in denen alles inklusive der Bank in Containern war, eröffneten Anfang der 70er die ersten Einkaufszentren. Mit Trara, kleinen Chipstüten zum Mitnehmen und all‘ den Annehmlichkeiten, die den Stadtplanern für die urbanen Begegnungsräume eingefallen waren. Betonbänken. Auf Beton. Vor Beton.

Pers se lag unser nächstgelegenes Einkaufszentrum auch in Ogerland. Allerdings hatte es sich durch die Dauerpräsenz furchtbarer Boss-Monster in Form der Eltern der jeweiligen Fraktionen für uns in eine fragil-stabile neutrale Zone entwickelt. Zwar war jederzeit mit verbalen Übergriffen zu rechnen, aber die Chance, mit allen Kleidungsstücken und dem Kleingeld im Supermarkt oder der Papeterie anzukommen und die Objekte der Begierde unbeschadet zurück in den eigenen Hof zu transportieren, war ziemlich gut. Nun gab es in diesem mittlerweile aus Gründen abgerissenen Zentrum durchaus einige Magneten für mich: die Stadtbüchereifiliale, in der ich meistens auch noch die Ausweise der Eltern missbrauchte, um das Ausleihlimit auszuhebeln.

Im Ernst: nur 12 Bücher. Ich habe an guten Tagen drei Enid Blytons geschafft.

Die Papeterie, deren Besitzer sich irgendwann auf der von unserem Taschengeld gekauften Karibikinsel zur Ruhe setzten.

Ein Supermarkt natürlich, der Friseur, ein Blumenladen, eine Sauna warum auch immer und ein paar seltsame Eingänge, die mir als „Büros“ und „Firmen“ präsentiert wurden. Weder war mir ihre Funktion klar noch interessierte sie mich. Wen interessiert eine Firma, wenn man Yps, Fünf Freunde und Abenteuer um ? hat.

Ach ja, und der Ayinger Hof. Ja, der Ayinger Hof. Eine riesige – tatsächlich – Wirtschaft, gut bürgerlich selbstverständlich, Schwabenpfanne, Bürgermeisterstück, Grillteller und Pommes für uns. Ein Platz für besondere Anlässe, ohne Eltern bestand keinerlei Grund für einen zweiten Blick.

Während wir also mit unseren Lego-Magneten an Angelschnüren zwischen Ritzen der Bodenplatten nach Münzen angelten und somit die ersten Schritte hin zum Pfandbechersammeln gingen, stieg die lokale ältere Jugend über uns hinweg und hinab.

Hinab in den Keller des Ayinger Hofs.

Dass dies das Interesse eines Rudels Menschen, für die zwar der Abschluss der Grundschule eher noch ein Fernziel darstellte, denen aber schon irgendwo im Hinterkopf herumging, dass der Comic-Flohmarkt am Samstag nicht der Höhepunkt aller möglichen Unterhaltung sein kann, in ein loderndes Inferno verwandelte, lässt sich unschwer erahnen.

Insbesondere, da besagte ältere Jugend noch längst nicht so weit war, die im Rückblick gesehen unfassbar liberale Auslegung des Jugendschutzgesetzes in dem Etablissement auszutesten.
Aber was dann? Aus den höchst seltenen Besuchen dort wussten wir, dass es im Keller außer den Toiletten nur Kegelbahnen gab. Und dass irgendwer außer Onkel Fritz und Tante Helga kegeln könnte, überstieg unsere Vorstellungskraft völlig.

Aber was dann? Angelnd beobachteten meine Freundin Susanne und ich ihren älteren Bruder mit seiner Blasn im „Hof“ verschwinden.
Und nicht mehr auftauchen.
Gestählt durch so ziemlich jede denkbare Kinder-als-Detektive-Reihe war für uns klar: da ist ein Geheimnis und das Geheimnis gehört uns.

Also rein. Unschuldiger Blick, kaum Gegacker. Die Schankstube leer, bis auf einen desinteressierten Gläserpolierer. Ich glaube, denen war eigentlich immer alles egal, solange die Gäste zahlten und sich nur in Ausnahmefällen wie Derbys, Hochzeiten und Beerdigungen gegenseitig böse verletzten.

Also runter. Eine Kellertreppe gebaut wie die Todesfallen in Skihütten der Zeit, in der man gezwungen wurde, über rutschige Fließen mit Schraubstöcken an den Füßen senkrecht zu den nassen Nasszellen abzusteigen.

Wir uns also die Treppe hinabgeschlichen. Oder zumindest versucht (habe ich Flip-Flops bereits erwähnt?)

Unten: drei Jungs vor braun gekachelter Wand. An einem Holzkasten, der im Halbdunkel mystisch leuchtete. In das fluoreszierende Licht getaucht, völlig gefesselt, zuckende Hände, angespannte Ruhe, nur von einem „Ja“ oder „Scheiße“ unterbrochen.

Da stand es: das erste Videospiel meines Lebens. Ein Space Invaders. Das Spiel 50 Pfennige. Und es war schnell vorbei, viel zu schnell. Ich hatte absolut keinen Plan, was ich mit den vielen Tasten, dem Joystick, den seltsamen Figuren auf dem Bildschirm kamen, anfangen sollte. Ein ohrenbetäubendes 8-Bit-Tröten aus dem Lautsprecher. Ach ja, und einer Jungs hat mich für mein Spiel hochgehoben. Sonst hätte ich nichts gesehen.

Blaues Licht im Halbdunkel, braune Fliesen.

Wenn mir damals wer gesagt hätte, wie viel Zeit ich in meinem Leben in irgendwelchen Kellern zwischen Toiletten und Zigarettenautomaten verbringen werde, hätte ich meine übelste Beleidigung ausgepackt und den Vogel gezeigt.

Vielleicht wäre mein Leben anders geworden und ich hätte Bergsteigen, Häkeln und Hinterglasmalerei für mich entdeckt. Wären alles Optionen gewesen. Aber Hand aufs Herz: Bergsteigen im Halbdunklen?

Braune Fliesen und Space Invaders mag ich immer noch nicht.

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